StuW Sonderheft NeSt 2025
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Abhandlungen – Steuerpolitik S7 Güntzler – Steuerpolitische Reformfähigkeit im Zeichen des Koalitionsvertrages wiederherstellen
und gewillten Reformern in der Politik. Insbesondere im Be reich der Steuerpolitik zeigt sich seit fast zwei Legislaturperi oden die Notwendigkeit, etwas an der Situation und den steu erlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Und trotz dieser Erkenntnis hat sich die deutsche Steuerpolitik in Bezug auf eine große Steuerreform in eine Art Stillstand- in eine schein bare Reformunfähigkeit hineinmanövriert. Es wurde zu klein teilig diskutiert und die Arbeitsergebnisse mündeten fortwäh rend in noch kleinteiligeren gesetzlichen Willen und Verwal tungsanweisungen. An den großen Rädern der Steuerpolitik wurde nicht gedreht. Es hat sich allgemein, aber insbesondere in der Steuerpolitik bei Gesetzgebungsverfahren und steuerpolitischen Diskussio nen eine Kultur etabliert, die zunächst die vorgeschlagenen Maßnahmen lobt und danach darauf konzentriert in erschöp fender Weise die potenziellen Grenzen und Ausnahmen der Vorschläge herauszuarbeiten. Es wurde in den letzten Jahren viel darüber diskutiert, warum etwas nicht geht, anstatt darüber zu sprechen, wie es trotzdem möglich gemacht werden kann. Als Beispiel kann hier der Umgang mit den Ergebnissen aus der Expertenkommissionen „ Vereinfachte Unternehmensteu er “ und „ Bürgernahe Einkommensteuer “ des Bundesfinanz ministeriums genannt werden. Häufige Folge von Gesetzgebungsverfahren war die Suche einer Lösung der Verhandlungskonflikte in unbestimmten Rechts begriffen oder der Vorschlag wurde aufgrund von politischem Druck gleich ganz einkassiert. Was übrig bleibt sind viele Fra gezeichen bei den Unternehmen und ein noch kleinteiligerer Rattenschwanz, der im Folgenden die ohnehin überlasteten Ge richte beschäftigt. III. Gründe für den steuerpolitischen Stillstand Warum findet sich die Steuerpolitik immer wieder in kleintei ligen Diskussionen und unauflösbaren Verhandlungskonflikten wieder? Es sollen zwei Erklärungen exemplarisch zeigen, wa rum sich die steuerpolitische Diskussion immer wieder selbst erschöpft. 1. Massenverfahren vs. Einzelfallgerechtigkeit Eine Frage muss ehrlich beantwortet werden: Wollen Bürger, Unternehmen und die Verwaltung schnellere, schlankere digi tale Prozesse, die Automatismen beinhalten und weniger Arbeit machen oder wollen wir ein hohes Maß an Einzelfallgerechtig keit? Denn beides schließt sich ab einem bestimmten Differen zierungsgrad aus. Wenn jedes steuerpolitische Gesetzgebungsverfahren jedes Spe zialinteresse prüft und berücksichtigen soll und jeder Neben satz eines Gesetzentwurfes solange in einer Diskussion auslegt wird, bis mindestens drei problematische Sonderfälle gefunden sind- dann war es zwar eine anspruchsvolle steuerpolitische Diskussion, in der sich jeder wiedergefunden hat- die grund sätzliche Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft durch steu erpolitische Maßnahmen wurde damit aber kein Gefallen ge tan. Für jeden Fall von Einzelgerechtigkeit braucht es zusätzli che Prozesse und Arbeitskräfte. Der Gegner des Massenverfahrens ist die Einzelfallgerechtig keit. Schnelle Bearbeitungszeiten bei den Finanzbehörden und
digitale Prozesse verlangen als Vorbedingung klare definierte einfache Strukturen.
2. Fiskalpolitische Beschränkungen durch Bundes und Länderhaushalte Der Föderalismus birgt zwei Herausforderungen. Der chro nisch angespannte Zustand öffentlicher Haushalte auf Bundes und Landesebene begrenzt den politischen Spielraum für steu erliche Reformen. Dies haben alle Länder unabhängig ihrer po litischen Couleur gemein. In besonderem Maße zeigte es sich zuletzt beim groß aufgehangenen Wachstumschancengesetz, dessen Erfolg an den fiskalischen Sorgen der Länder langsam zu Grunde ging. Ein weiteres Beispiel ist die dringend zu über arbeitende Gewerbesteuer bei den Ländern und Kommunen, die kaum bereit sind, Veränderungen hinzunehmen. Dabei wäre es im Sinne der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dringend notwendig- im Übrigen auch für die finanzielle Stabi lität der Kommunen. Eine zukunftsorientierte Steuerpolitik, die langfristige Investi tionen und Wachstum priorisiert, setzt aber voraus, dass kurz fristige Einnahmeausfälle bewusst akzeptiert werden. Sie sind in der kurzfristigen Sicht sogar unumgänglich, damit langfristig die Einnahmen wieder steigen können. 10 Die Amortisationszeit geht über den Zeitrahmen von fünf Jahren hinaus. Für die Poli tik eine lange Zeit und schwer gegenüber den Bürgern zu ver kaufen und deshalb unbeliebt. Die Unternehmer in Deutsch land benötigen jedoch das Kapital und die Chance, ihre Unter nehmen fit für die Zukunft zu machen, sowie der Staat die stei genden Einnahmen nötig hat, um den Kapitalstock der Zu kunft mitzutransformieren. Die zweite Herausforderung im Föderalismus findet sich in der Arithmetik des politischen Farbenspiels in den Landesregierun gen. Sie machen eine umfassende Reform in der Steuerpolitik zu einem sehr schwierigen Unterfangen, da fast jedes Gesetz mit steuerlichem Inhalt ein Zustimmungsgesetz ist und so die Zustimmung des Bundesrates bedarf. Ein breiter politischer Konsens ist möglich, führt in der Regel jedoch zu weiterer poli tischer Aufweichung der Verhandlungsergebnisse. Zu oft sehen die Länder auch nur ihre eigenen Interessen in einer dann über die Parteigrenzen hinweg bestehenden Einigkeit. Ein gemein sames Vorgehen von Bund und Ländern ist aber erforderlich. IV. Aktuelle Steuerpolitische Perspektiven des Koaliti onsvertrages- Warum der Koalitionsvertrag eine neue Chance bietet Also was tun? Erforderlich ist ein Parlament, das bereit ist, steuerrechtliche Grundlagen mit strategischem Weitblick neu zu justieren. Wenn erneut der Einwand erfolgt, eine Maßnah me sei mit der geltenden Rechtslage und aufgrund von Einzel fällen nicht vereinbar, darf dies nicht das Ende der Debatte markieren – vielmehr muss es der Beginn eines legislativen Korrekturprozesses sein. Die Anerkennung steuerpolitischer Handlungsnotwendigkeit und steuerpolitische Empirie müssen
10 Vgl. Hentze et al., Steuersenkung als Investitionstreiber, Wirtschaftsdienst 104/2024, 547.
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