StuW Sonderheft NeSt 2025
Abhandlungen – Steuerwissenschaften StuW Sonderheft NeSt 2025 Diller / Ehm – Vorweggenommene Grundsteuerhebesatzerhöhungen der Kommunen im Zusammenhang mit der Grundsteuerreform
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deren durchschnittliche Bemessungsgrundlage sinkt, ihre He besätze erhöhen, aber auch, dass Gemeinden, deren durch schnittliche Bemessungsgrundlage steigt, ihre Hebesätze sen ken. Tendenziell ist aber davon auszugehen, dass im Hebesatz verhalten von Gemeinden ein asymmetrischer Effekt bzw. ein Ratchet-Effekt im weiteren Sinne vorliegt, also eine Bewegung der Steuersätze nur nach oben. Gemeinden, die nach obiger Ar gumentation einen Grund haben, ihre Hebesätze zu erhöhen, werden dies tun, da sie ihre Einnahmen aufrechterhalten müs sen. Sie werden diese Erhöhungen aus diesem Grund auch zeit nah umsetzen, weil ihnen sonst Einnahmen fehlen würden und auch weil das Zeitfenster, die Grundsteuerreform als Begrün dung zu nutzen, sich wieder schließen wird; gegebenenfalls werden sie dies auch schon im Vorfeld der Umsetzung der Re form tun. Gemeinden, die nach obiger Argumentation ihre He besätze senken müssten, werden dies voraussichtlich nicht tun bzw. in vermindertem Umfang. Gleiches gilt für Gemeinden, die nur schwach (negativ) betroffen sind. Auch hier steht zu er warten, dass diese sich im Rahmen von Erhöhungen nicht am Ausmaß ihrer (geringen) Betroffenheit orientieren. Zudem werden Gemeinden, die tendenziell senken müssten, dies – wenn überhaupt – nur nach Inkrafttreten der Reform realisie ren und dann potentiell auch mit einer zeitlichen Verzögerung, die sich z.B. mit steigender Sicherheit bzgl. der Nach-Reform Einnahmen im Zeitablauf begründen ließe. Neben der Asymmetrie der Hebesatzänderungen könnte ver mutete werden, dass auch nicht betroffene Gemeinden aktuell nicht notwendige Hebesatzanpassungen implementieren und sich selbst über das Argument der Grundsteuerreform exkul pieren und somit die politische Verantwortung nicht tragen müssen. Kritisch und nicht eindeutig zu identifizieren ist in diesem Zusammenhang der Zeitraum des Reformeinflusses: Obschon das Urteil des BVerfG bereits eindeutig festlegte, dass die Grundsteuerreform spätestens bis 2025 zu implementieren sei, blieb bis zur Verabschiedung des Gesetzespakets unklar, auf welchen Bewertungsgrundlagen die zukünftige Steuerbe messung basieren würde. Somit ist das im November 2019 ver abschiedete Gesetzespaket als zentraler Meilenstein zu werten, da es den Kommunen verbindliche Informationen über die veränderten Rahmenbedingungen der Grundsteuer bot. Da den Gemeinden Ende 2019 rechtsverbindliche Sicherheit über die Umsetzung der Grundsteuerreform gegeben wurde, ist da von auszugehen, dass die Hebesatzpolitik ab dem Jahr 2020 durch die Reform beeinflusst sein kann. 22 Abbildung 6 visualisiert die Entwicklung der Hebesatzänderun gen der Gemeinden seit 2010, differenziert nach zwei Arten von Gemeinden: einerseits die Gemeinden, bei denen die Re form eine deutliche Minderung, d.h. Verschlechterung, der Be messungsgrundlagen erwarten lässt, und andererseits jene Ge meinden, bei denen die Bemessungsgrundlagen steigen bzw. sich nur mäßig verschlechtern. Als Identifikationsstrategie dient das zugrunde liegende Verhältnis des neutralen und tat
bei der Gewerbesteuer mehr oder weniger mobiles Kapital be steuert wird, welches in stärkerem Steuerwettbewerb steht. In vorliegender Grafik spielt der Niveauunterschied keine bedeu tende Rolle, da es lediglich auf ein ähnliches bzw. abweichendes Verhalten beider Steuerarten unabhängig vom Niveau an kommt. Die grundsteuerlichen Peaks in den Hebesatzänderungen sind – wenn auch auf niedrigerem Niveau – in den gewerbesteuerli chen Änderungen wiederzufinden. Die beiden Grafen weisen also einen tendenziell ähnlichen Verlauf auf, der jedoch durch ein deutliches Auseinanderdriften seit 2021 21 gekennzeichnet ist. Im Jahr 2024 zeigt sich zudem mit einer durchschnittlichen Grundsteuerhebesatzerhöhung von ca. 30 Hebesatzpunkten ein Wert nahe dem Allzeithoch, während sich die Gewerbesteuer hebesatzerhöhungen weiterhin auf mittlerem Niveau (relativ zu den vergangenen Werten) befinden. Als Erklärung hierfür bie tet sich offensichtlich das nahe Inkrafttreten der Grundsteuer reform an, so dass eine vermehrte Erhöhungsaktivität bereits im Jahr 2024 vorhanden war. Die nachfolgenden Regressions analysen (vgl. Gliederungspunkt 3.3.) liefern zudem Hinweise darauf, dass sich die markanten Änderungsaktivitäten bei der Grundsteuer in den Jahren 2013 und 2015 im Gegensatz zu derjenigen im Jahr 2024 auf einen erhöhten Finanzierungs bedarf der Gemeinden zurückführen lassen. Die Hebesatzerhöhungen im Jahr 2024 weisen eine weitere Be sonderheit auf. Betrachtet man ausschließlich jene Gemeinden, die ihre Grundsteuerhebesätze im jeweiligen Jahr angepasst ha ben, so zeigt sich, dass die durchschnittliche Höhe ihrer Anpas sungen (Abbildung 5 enthält im Gegensatz zu Abbildung 4 nur jene Gemeinden, welche die Hebesätze angehoben haben) im Jahr 2024 im Vergleich zum gesamten Zeitraum von 2010 bis 2024 einen Spitzenwert erreicht. Im Jahr 2024 erhöhten 172 Gemeinden ihre Grundsteuerhebesätze im Durchschnitt um etwa 70 Hebesatzpunkte – ein Anstieg, der den bisherigen Höchstwert aus dem Jahr 2015 um rund 10 Punkte übertrifft. Im Jahr 2015 hatten 215 Gemeinden im Mittel Anpassungen von etwa 60 Hebesatzpunkten vorgenommen.
Abbildung 5: Durchschnittliche Grundsteuerhebesatzerhöhungen der anpas senden Gemeinden im Zeitraum 2010 bis 2024 in Nordrhein-Westfalen.
3.2 Die Reformbetroffenheit als Treiber der Hebesatz erhöhungen Das steuerpolitische Desideratum der Aufkommensneutralität verlangt, dass die Gemeinden ihre Hebesätze so ändern, dass das Steueraufkommen, also die Einnahmenseite der Gemein den, ungefähr gleichbleibt. Die Folge wäre, dass Gemeinden,
21 Die Minima sowohl bei der GewSt als auch bei der GrSt im Jahr 2020 sind sicherlich durch die Corona-Pandemie zu erklären. 22 Unsicher blieb jedoch zunächst, ob die Länder ihre neu erhaltene Gesetz gebungskompetenz im Rahmen der Grundsteuer nutzen würden. In einer Pressemitteilung vom 6.5.2021 gab die nordrhein-westfälische Landes regierung bekannt, dass sie sich für die Anwendung des Bundesmodells entschieden hat (vgl. Finanzverwaltung NRW (2021)).
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