StuW Sonderheft NeSt 2025

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Abhandlungen – Steuerwissenschaften S59 Diller / Ehm – Vorweggenommene Grundsteuerhebesatzerhöhungen der Kommunen im Zusammenhang mit der Grundsteuerreform

möglich sein wird, 4 so kann zum heutigen Zeitpunkt bereits eine erste Bestandsaufnahme dieser Effekte durchgeführt wer den. Denn bereits seit einigen Jahren sind die Auswirkungen der Reform auf die Bemessungsgrundlagen der Gemeinden ab sehbar und Hebesatzänderungsaktivitäten bereits erfolgt, wel che auch in direkten Zusammenhang mit der Steuerreform ge bracht werden. 5 Die Analyse dieses Hebesatzverhaltens der Kommunen ist Gegenstand des vorliegenden Beitrags. Dabei beschränken wir uns auf die Grundsteuer B und nordrhein westfälische Gemeinden. Zum einen werden dadurch Verzer rungen aufgrund länderspezifischer Grundsteuermodelle oder jüngster Reformen bzgl. des kommunalen Finanzausgleichs in Rheinland-Pfalz vermieden und zum anderen liegt für dieses Bundesland eine Veröffentlichung sog. aufkommensneutraler Hebesätze vor, die eine Differenzierung der Gemeinden hin sichtlich ihrer Reformbetroffenheit erlaubt. 6 Der Beitrag gliedert sich wie folgt: Im ersten Abschnitt wird die Reform der Grundsteuer und ihr zeitlicher Ablauf kurz dar gestellt. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf der vom Gesetz geber angestrebten aufkommensneutralen Umsetzung der Re form sowie auf den von der nordrhein-westfälischen Finanz verwaltung bereitgestellten Neutralhebesätzen. Anschließend folgt eine deskriptive Darstellung der Entwicklung der Grund steuerhebesätze in Nordrhein-Westfalen. Folgend wird mittels eines Difference-in-Difference-Ansatzes untersucht, ob Grund steuerhebesatzerhöhungen für den Zeitraum 2020 bis 2024 pri mär auf die Betroffenheit der Gemeinden von der Reform zu rückzuführen sind oder ob sie überwiegend fiskalisch motiviert erscheinen. Abschließend werden die zentralen Ergebnisse dis kutiert und es wird ein Ausblick auf zukünftige Forschungsfra gen gegeben. 2. Die Grundsteuerreform 2.1 Chronologie, zentrale Neuerungen und bisherige Forschung Am 10.4.2018 erklärte das BVerfG die bis dahin geltende Grundsteuer für verfassungswidrig, da die Einheitsbewertung der Grundstücke auf veralteten Wertverhältnissen (1964 in West- und 1935 in Ostdeutschland) basierte, die relativen Wer te der Grundstücke zueinander nicht mehr widerspiegelte und somit gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes ver stieß. 7 In seinem Urteil verpflichtete das Gericht den Gesetz geber, die bis dato gültige Grundsteuer bis spätestens 31.12.2019 einer Novellierung zu unterziehen. Zugleich ge währte das Gericht eine Übergangsfrist bis Ende 2024 , umdie Umsetzung der Reform zu ermöglichen. Die Notwendigkeit ei ner Reform der Grundsteuer wurde seitens der Politik bereits vor dem Urteil des BVerfG erkannt. In diesem Wissen hatte der Bundesrat einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Bewer tungsgesetzes bereits im November 2016 beschlossen, welcher schon wesentliche Elemente der später implementierten Län derautonomie integrierte. 8 In diesem Zusammenhang wurde in dem Gutachten zur „ Verfassungsmäßigkeit der Reform der Be messungsgrundlage der Grundsteuer und der Entwicklung der Grundsteuerhebesätze “ die Möglichkeit diskutiert, dass Ge meinden die Reform als Anlass nutzen könnten, steuerliche Mehreinnahmen durch Anpassungen der Hebesätze zu gene rieren. 9 Diese Dynamik könnte insbesondere dadurch entste hen, dass die reformbedingte Neubewertung der Grundstücke

als Legitimation für Erhöhungen genutzt wird, selbst wenn die Reform grundsätzlich auf eine aufkommensneutrale Umset zung abzielt. Vor diesem Hintergrund sind auch die Appelle im Gesetzesentwurf sowohl des Bundesrates als auch des Bun destages aus dem Jahr 2019 an die Gemeinden zu verstehen, et waige durch die Reform ausgelöste Steuerbelastungsverschie bungen durch eine entsprechende Anpassung der Hebesätze auszugleichen. 10 Im November 2019 verabschiedete der Bundestag ein umfas sendes Reformpaket zur Neuregelung des Grundsteuer- und Bewertungsrechts, welches als wertabhängige Lösung kon zipiert wurde (Bundesmodell). Dieses findet in den Bundeslän dern Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Schles wig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Ber lin, Sachsen-Anhalt und Thüringen Anwendung. 11 Hierbei er folgt eine differenzierte Betrachtung von unbebauten Flächen, Grundstücken mit Wohnnutzung und Gewerbegrundstücken. Für die Bewertung von Wohngrundstücken wird das Ertrags wertverfahren herangezogen, während Nichtwohngrundstücke nach dem Sachwertverfahren bewertet werden. 12 Beide Verfah ren beruhen auf typisierten, vereinfachten Ansätzen, die eine praxisnahe und einheitliche Bewertung ermöglichen. 13 Das Saarland und Sachsen wenden das Bundesmodell an, nehmen jedoch Anpassungen bei den Steuermesszahlen vor. Im Gegen satz dazu machen die Bundesländer Baden-Württemberg, Bay ern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen von der im Reform gesetz vorgesehenen Öffnungsklausel Gebrauch und haben durch Landesgesetzgebung eigenständige Ländermodelle etab liert. 14 Die bisherige Forschung zur Grundsteuerreform konzentriert sich vor allem auf ihre Belastungswirkungen aufgrund ver änderter Bewertungsparameter. Konkret wurden unterschiedli che Grundsteuermodelle (flächen- vs. wertorientierte Verfah ren) hinsichtlich ihrer Bewertungsergebnisse miteinander ver glichen. 15 Nicht betrachtet wurden jedoch bisher die Hebesatz änderungs-Dynamiken, die durch die Reformankündigung auf kommunaler Ebene ausgelöst wurden. Diesbezüglich bestehen sowohl seitens der Wissenschaft 16 als auch der Wirtschaft 17 Be 4 Auch verzögernde Mimicking-Effekte zwischen den Gemeinden müssen beachtet werden, also das Verhalten von Gemeinden, ihre Steuerpolitik und somit das Hebesatzverhalten an benachbarten Gemeinden zu orien tieren. 5 Vgl. Deutsche Industrie- und Handelskammer (2024); bei den beobacht baren Hebesatzerhöhungen ginge es u.a. um die „ Sicherung des Aufkom mens vor dem Hintergrund der neuen Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer mit Wirkung ab 2025 “ . 6 Aufgrund dieser Fokussierung lassen sich die Ergebnisse nicht uneinge schränkt auf andere Bundesländer übertragen. 7 Vgl. BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvL 11/14. 8 Vgl. Deutscher Bundesrat (2016). 9 Vgl. Hey (2017), S. 33. 10 Vgl. Deutscher Bundesrat (2016); Deutscher Bundestag (2019).

11 Vgl. Schmid (2022), S. 400. 12 Vgl. Graf (2024), S. 276. 13 Vgl. Eichholz (2020), S. 1217, 1221. 14 Vgl. Bundesministerium der Finanzen (2021), S. 35 ff. 15 Vgl. Maiterth / Lutz (2019). 16 Vgl. Hey (2017), S. 33. 17 Vgl. IHK Niedersachsen (2024), S. 8.

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