StuW Sonderheft NeSt 2025

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Abhandlungen – Steuerwissenschaften

S56

Teuber / Wilhelm / Herrmann / Stöwhase – Wirtschafts- und Politikberatung mit der Lohn- und Einkommensteuerstatistik 2020

6.3 Steuereffekte durch den Progressionsvorbehalt In Folge der generellen Veranlagungspflicht bei Bezug von KuG und der erheblichen Ausweitung des KuG ‑ Bezugs wurde ein deutlicher Anstieg der Zahl der Veranlagungsfälle erwar tet. 24 Unsere Auswertungen zeigen hingegen, dass der größere Teil der nichtveranlagten Kurzarbeitenden der Pflichtveranla gung zum Zeitpunkt der Erhebung der Steuerstatistik nicht nachkam (Gruppe D). Dies gilt auch unter Berücksichtigung, dass der Bezug von KuG nicht automatisch zu einer Pflichtver anlagung führen muss: Unter den 2,09 Mio. Personen in Grup pe D sind 510.000 Personen mit einem KuG von höchstens 410 € . Ohne andere Einkünfte bestand für sie aufgrund der Re gelung zur Veranlagung bei Bezug von Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit nach § 46 Abs. 2 EStG im Gegensatz zu den anderen knapp 1,6 Mio. Personen keine Veranlagungs pflicht. Um die Finanzverwaltung durch zusätzliche Veranlagungsfälle nicht zu überlasten, war vorgeschlagen worden, das KuG zeit weise steuerfrei zu stellen ( Deutscher Bundestag 2020b). Mit Hilfe der von uns durchgeführten Identifikation der KuG ‑ Fälle in der FAST 2020 lässt sich auch der Aufkommenseffekt quan tifizieren, der sich daraus ergibt, dass das coronabedingte KuG dem Progressionsvorbehalt unterliegt. Dazu wird ebenfalls das Mikrosimulationsmodell MikMod-ESt verwendet. Der Auf kommenseffekt liegt bei etwa 1.660 Mio. Euro. Um diesen Be trag hätte sich das Steueraufkommen gemindert, wenn es bei den veranlagten Steuerpflichtigen tatsächlich zu einer Freistel lung des KuG vom Progressionsvorbehalt gekommen wäre. Das liegt etwas unterhalb der Größenordnung, die der Bundes rechnungshof im Jahr 2022 angegeben hat. 25 Die dort bezifferten ca. 2.080 Mio. Euro unterstellten jedoch ein höheres Gesamtvolumen an KuG. In unseren Berechnun gen fällt der Betrag auch geringer aus, weil die Lohnsteuerfälle in der Gruppe D keine Veranlagung vorgenommen haben. Da her haben wir auch die Steuereffekte berechnet, die durch eine Pflichtveranlagung bei allen Lohnsteuerfällen mit KuG ‑ Bezug entstanden wären. Diese Simulation ist aber insbesondere bei Ehepaaren mit einer größeren Unsicherheit behaftet, da uns für Fälle mit Lohnsteuerklassen IV keine Informationen über das Einkommen des ebenfalls nicht veranlagten Ehepartners oder Ehepartnerin vorliegen. Bei Vorliegen der Lohnsteuerklas sen III zusammen mit V besteht ohnehin – zusätzlich zum Er halt von KuG – ein Grund zur Pflichtveranlagung, so dass es sich bei Fällen mit der Lohnsteuerklasse III um Alleinverdie nende handeln müsste. Außerdem könnten im Zuge der Ver anlagung weitere Abzugsbeträge wie Werbungskosten oder Sonderausgaben geltend gemacht werden. Daher haben wir eine Simulation der Veranlagung nur der 1,72 Mio. Personen in den Lohnsteuerklassen I bis III vor genommen. Dabei sind wir nicht von deklarierten Werbungs kosten im Zuge der Veranlagung ausgegangen, haben jedoch im Falle der Kirchensteuerpflicht die Kirchensteuer bei den Sonderausgaben berücksichtigt. Nach unserer Schätzung hätte sich im Saldo eine Rückzahlung von rund 80 Mio. Euro an die Steuerpflichtigen ergeben. Bei etwa 760.000 Fällen kommt es zu einer Steuerentlastung von aggregiert 215 Mio. Euro, weil die überproportionale Lohnsteuerbelastung durch den fehlenden Lohnsteuerjahresausgleich höher ausfällt als die später zu zah lende Einkommensteuer, in der der Progressionsvorbehalt des

KuG steuererhöhend wirkt. Umgekehrt überwiegt bei etwa 660.000 Fällen die Wirkung des Progressionsvorbehalts. Bei diesen Fällen wäre es zu einer Steuernachzahlung von aggre giert 135 Mio. Euro gekommen. 7. Zusammenfassung und Diskussion Coronabedingte Sondereffekte haben sich auch in den steuer statistischen Daten des Jahres 2020 niedergeschlagen. Wirt schafts- und Politikberatende stellt das vor eine Herausforde rung, da sie auf verlässliche und möglichst aktuelle Daten ange wiesen sind. In diesem Beitrag haben wir methodisch dargelegt, wie die Daten der Faktisch anonymisierten Lohn- und Einkom mensteuerstatistik des Jahres 2020 um Sondereffekte bereinigt werden können, die sich aus den temporär während der Coro napandemie stark erhöhten Zahlungen von KuG ergeben. Dazu wurden u.a. die Beziehenden von rein coronabedingtem KuG identifiziert, ihre erhaltenen Lohnersatzleistungen in Er werbseinkommen zurückgerechnet sowie Anpassungen bei den deklarierten Werbungskosten vorgenommen. Insgesamt identi fizieren wir zusätzliche rund 8,44 Mio. Personen mit Bezug von KuG. Bei diesen Personen sind unseren Berechnungen nach 45,9 Mrd. Euro an sozialversicherungspflichtigem Bruttolohn entfallen. Dafür wurden etwa 16,64 Mrd. Euro an KuG aus gezahlt. Durch unsere Korrekturen ergibt sich eine um rund 9,2 Mrd. Euro höhere festgesetzte Einkommensteuer. Teilweise lassen sich unsere Ergebnisse anhand der Daten der Bundes agentur für Arbeit plausibilisieren, an anderer Stelle fehlen je doch unabhängige Vergleichszahlen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass einzelne Datenlücken existieren und infolgedessen an einigen Stellen vereinfachende Annahmen für die durchzuführenden Korrekturen getroffen werden mussten. So erfolgt die Auswahl der Personen mit co ronabedingtem Bezug von KuG nicht vollständig determinis tisch, sondern mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten. Fehlende Informationen zum exakten Umfang der Kurzarbeit machen eine genaue Rückrechnung des bezogenen KuG in entfallenden Bruttolohn ebenfalls schwierig. Vor diesem Hintergrund sind unsere Ergebnisse auf der Ebene der individuellen Steuerpflich tigen mit einem gewissen Grad an Unsicherheit behaftet. Auf der aggregierten Ebene liefert unser Modell jedoch verlässliche Zahlen. Die Qualität der von uns durchgeführten Korrekturen ließe sich noch erhöhen, wenn zusätzliche Informationen in der Steuerstatistik zur Verfügung stünden. So könnte eine differen zierte Erfassung der monatlichen Lohnabrechnungen dabei hel fen, die exakte Höhe der Bemessungsgrundlage des KuG zu kalkulieren. Ebenfalls wünschenswert, und auf Seiten der Da tenproduzenten vermutlich deutlich einfacher umzusetzen, wä ren weitere Differenzierungen bei den Angaben zu dem Pro gressionsvorbehalt unterliegenden Lohnersatzleistungen. Anga ben, die zwischen Altersteilzeit, KuG und Mutterschaftsgeld oder auch nicht durch Arbeitgebende ausgezahlte Entgelt

24 Der Bundesrechnungshof erwartete große Herausforderungen für die Fi nanzverwaltung für die Vorbereitung und Bearbeitung der hinzukom menden Einkommensteuererklärungen ( Bundesrechnungshof 2022, S. 29). 25 Vgl. Bundesrechnungshof 2022, S. 15.

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