StuW Sonderheft NeSt 2025

StuW Sonderheft NeSt 2025

Abhandlungen – Steuerwissenschaften

S46

Teuber / Wilhelm / Herrmann / Stöwhase – Wirtschafts- und Politikberatung mit der Lohn- und Einkommensteuerstatistik 2020

wir es in der jüngsten Vergangenheit allenfalls während der in ternationalen Finanzkrise 2008/2009 beobachten konnten. Die durch die Coronapandemie induzierten Lockdowns führten zu Geschäfts- und temporären Betriebsschließungen. Wirtschaftli che Aktivitäten verringerten sich, und an die Stelle von eigenen Einkünften traten teilweise Entgeltersatzleistungen und Sozial transfers. Die in der Statistik des Jahres 2020 enthaltenen Daten sind dadurch nicht repräsentativ für die Folgejahre nach dem Ende der Pandemie. Zum Problem wird dies für die empirische Gesetzesfolgen abschätzung im Bereich der Steuerpolitik, wo Simulations modelle möglichst aktuelle Daten verwenden müssen, um (Re form-) Analysen am aktuellen Rand und darüber hinaus durchführen zu können. Dazu müssen die vorhandenen Daten in der Regel fortgeschrieben sowie an Änderungen in der Struktur der Steuerpflichtigen und an zukünftige Rechtsstände angepasst werden ( O ’ Donoghue und Loughrey 2014). In der Vergangenheit haben sich solche Simulationen beispielsweise auf Änderungen des Einkommensteuertarifs ( Bönke und Cor neo 2006; Struch 2012, Stöwhase und Teuber 2022; Broer und Stöwhase 2024), auf die Wahl von Lohnsteuerklassen ( Buettner et al. 2019) und mögliche Verluste infolge einer Nicht-Veranla gung ( Hauck und Wallossek 2024) oder etwas spezifischer auf die Alterssicherung und die Aufkommenseffekte durch den de mografischen Wandel ( Kiesewetter et al. 2023; Calahorrano et al. 2019) bezogen. Bedingt durch die teils eingeschränkte Re präsentativität der Lohn- und Einkommensteuerstatistik des Jahres 2020 entsteht für die Wirtschafts- und Politikberatung ein Trade-Off zwischen Aktualität einerseits und teilweise ver ringerter Datenqualität andererseits. Zu beachten ist dabei, dass die vielfach im Rahmen der Wirtschafts- und Politikbera tung genutzten Mikrosimulationsmodelle in ihrem Aufbau teils sehr komplex sind ( Flory und Stöwhase 2012). Dies schließt ei nen Fernzugriff auf die Steuerstatistik aufgrund technischer und/oder zeitlicher Restriktionen meist aus. Als Alternative zur Lohn- und Einkommensteuerstatistik des Jahres 2020 stehen dann primär die Daten des Jahres 2017 zur Verfügung. 1 Poten tiell auflösen lässt sich dieser Trade-Off durch eine inhaltliche und datentechnische Bearbeitung der Daten des Jahres 2020. Ziel dieses Beitrags ist es, exemplarisch für die FAST des Jah res 2020 und das Kurzarbeitergeld (KuG) Lösungen aufzuzei gen, wie mit den vorhandenen Datenproblemen umgegangen werden kann. Neben dem KuG wurden auch signifikante Be träge an Corona-Sofort- und Überbrückungshilfen an Selbstän dige gezahlt. Diese werden in der FAST 2020 jedoch individuell erfasst, so dass diese bei Quantifizierungen in Folgejahren ein fach herausgerechnet werden können. Unsere Analyse zeigt, dass die gegenüber den Vorjahren deutlich angestiegenen Zah len von KuG ‑ Beziehenden einer der Hauptfaktoren ist, warum sich die Steuerdaten des Jahres 2020 signifikant von den Vor jahren unterscheiden. In Kapitel 2 werden zunächst deskriptiv die Entwicklungen der wichtigsten einkommensteuerrelevanten Sachverhalte in den Daten dargestellt. Daraus leiten wir Vor- und Nachteile der Nutzung verschiedener Jahre der Steuerstatistik ab. Zentral ist die Beschreibung des methodischen Ansatzes, mit dem wir im ersten Schritt zunächst die zusätzlichen, rein coronabedingten Zahlungen von KuG im Veranlagungszeitraum 2020 ermitteln und die Daten so korrigieren, dass sie für Analysen nutzbar werden: Die Strategie zur Ermittlung der Gesamtzahl von Fäl

len mit KuG wird in Kapitel 3 dargestellt. In Kapitel 4 werden diese Fälle anhand unterschiedlicher Charakteristika klassifi ziert. Spezifische Aufbereitungsschritte für die Fortschreibung der Daten werden in Kapitel 5 beschrieben. Kapitel 6 quantifi ziert mit Hilfe eines detaillierten Mikrosimulationsmodells, die Effekte aller durchgeführten Anpassungsmaßnahmen auf zen trale Ergebnisse der Lohn- und Einkommensteuerberechnung des Jahres 2020. Damit wird implizit die Größenordnung der Abweichungen aufgezeigt, die sich bei Verwendung der unkor rigierten Daten für Abschätzungen in Folgejahren ergeben kön nen. Kapitel 7 schließt die Arbeit mit einer Zusammenfassung und kritischen Diskussion. Der Vergleich einiger aggregierter Größen im Zeitablauf ist re levant, um abzuwägen, ob eine ältere Datenbasis, die für Ana lysen zukünftiger Jahre aber möglicherweise repräsentativer ist, oder die aktuelle Steuerstatistik, die pandemiebedingt jedoch potentiell verzerrt sein könnte, genutzt werden sollte. Die Co ronapandemie hatte im Jahr 2020 im Vergleich zu den gesell schaftlichen Implikationen nur geringe Auswirkungen auf das Gesamtaufkommen der Lohn- und Einkommensteuer. So ver ringerte sich das Lohnsteueraufkommen im Veranlagungszeit raum 2020 um knapp 2 Prozent bzw. rund 4,5 Mrd. Euro ge genüber dem Vorjahr. Gleichzeitig stieg das um die Lohnsteuer reduzierte festzusetzende Einkommensteueraufkommen um knapp 7 Prozent bzw. mehr als 5 Mrd. Euro ( Statistisches Bun desamt (Destatis) 2015 – 2020a). Dieser Gesamteffekt spiegelt sich auch in der Entwicklung der Einkünfte innerhalb der ein zelnen Einkunftsarten wider. Für den Zeitraum zwischen 2015 und 2020 ist dies der Abbildung 1 zu entnehmen. Bei den posi tiven Einkünften finden sich gegenüber den Vorjahren kaum Trendbrüche. Nur bei den Einkünften aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit kommt es zu einer leichten Abschwä chung des aus den Vorjahren erkennbaren positiven Trends. Bei den Selbständigen ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass die Anzahl der Steuerpflichtigen mit positiven Einkünften relativ zum Vorjahr sinkt. Spiegelbildlich steigt die Zahl der Selbständigen mit negativen Einkünften gegenüber dem Ver anlagungsjahr 2019. Zwar zeigen sich auch bei den negativen Einkünften teils deutliche Veränderungen im Vergleich zu den Vorjahren, da sich die Zeitreihen aber erratischer verhalten, sollten diese Veränderungen nicht überinterpretiert werden. Für die Fortschreibung der Daten in die Zukunft sind die iden tifizierten Abweichungen auf aggregierter Ebene nur von gerin ger Bedeutung. Da die vorhandenen Steuerdaten nur den be reits mehrere Jahre alten Stand des jeweiligen Veranlagungsjah res abbilden können, müssen sie zunächst ohnehin so korrigiert werden, dass sie den Zustand am aktuellen Rand möglichst korrekt widerspiegeln. Dies geschieht im Rahmen eines sog. Nowcastings. Durch die strukturelle Umgewichtung der in den Daten vorhandenen Einzelfälle und Setzung passender Fort schreibungsparameter können die erwarteten Randsummen zu 2. Vor- und Nachteile der Nutzung der Steuerstatistik des Jahres 2020

1 Beim Fernzugriff auf die Statistik können auch die Daten aus dem Ver anlagungsjahr 2019 genutzt werden. Für bestimmte Analysen, die keine komplexen Simulationen erfordern, wäre zudem auch ein Zugriff auf das Taxpayer-Panel denkbar.

Made with FlippingBook - professional solution for displaying marketing and sales documents online