StuW Sonderheft NeSt 2025
StuW Sonderheft NeSt 2025
Abhandlungen – Steuerwissenschaften S35 Dyck / Hechtner / Maiterth / Sureth-Sloane – Abschreibungen als Mittel der Investitionsförderung in Deutschland
IV. Möglichkeiten und Grenzen einer Analyse steuer licher Abschreibungsvorschriften mittels Daten der Amtlichen Statistik 1. Anforderung an Daten für die Analyse steuerlicher Abschreibungsvorschriften Aus steuerlicher Sicht konkretisieren die unterschiedlichen Re gelungen über Abschreibungen u.a. die Bewertung bei der Ge winnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG. Hierbei nehmen die Re gelungen der steuerlichen Abschreibung eine Doppelrolle ein: sie treffen Aussagen über eine periodengerechte Verteilung der Anschaffungs- und Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern mit einer Lebensdauer von über einem Jahr und typisieren zu gleich den Wertverzehr von Wirtschaftsgütern über die Zeit. 66 Abschreibungen werden somit sowohl durch die „ Aufwands verteilungsthese “ als auch durch die „ Wertverzehrthese “ be gründet, in Teilen mit unterschiedlicher Akzentuierung. 67 Im Ergebnis wirken sie als buchhalterische Aufwandsgröße i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG innerhalb des Betriebsvermögensvergleichs auf den Gewinn. Die jeweils konkreten steuerlichen Abschrei bungsregelungen haben aber eher eine Hilfsfunktion, da sie „ nur “ der Folgebewertung von Wirtschaftsgütern nach § 6 Abs. 1 EStG dienen, was wiederum in die Gewinnermittlung innerhalb der Einkunftsarten eingeht. 68 Aus Sicht des Besteue rungsprozesses wird damit deutlich, dass jedenfalls die einzelne konkrete Abschreibung für das einzelne Wirtschaftsgut nicht im Vordergrund der Gewinnermittlung steht, sondern besten falls die Summenposition der Abschreibungen als Teilkom ponente der Aufwendungen von Interesse ist. Hinzu kommt, dass gerade im Bereich der Abschreibungen der steuerliche Be wertungsvorbehalt nach § 5 Abs. 6 EStG zum Tragen kommt, wodurch aus anderen Rechnungslegungswerken (z.B. der han delsrechtlichen Rechnungslegung) abgeleitete Abschreibungs volumina für die steuerliche Gewinnermittlung mitunter gar nicht relevant sind. Ferner kommt hinzu, dass es „ die “ steuerli che Abschreibung nicht gibt. Das steuerliche Abschreibungs volumen setzt sich damit aus unterschiedlichen steuerrechtlich zulässigen Abschreibungsmethoden zusammen, die häufig auch nach dem Grund und der Art des Wirtschaftsgutes diffe renzieren. Die Übersicht über die empirische Literatur in Abschnitt II hat gezeigt, dass es zahlreiche Erkenntnisse zur Wirkung steuerli cher Abschreibungen gibt, die Nutzung und Effekte einzelner steuerlicher Normen aber nicht hinreichend erforscht sind. In Abschnitt III wurde gezeigt, dass auch Befragungsstudien hier nur bedingt weiterhelfen. Soll nun aber die Wirkung konkreter Abschreibungsregelungen auf Unternehmen, die diese Regelungen anwenden können, in ihrer Gänze analysiert werden, z.B. die Wirkungen von Investi tionsabzugsbeträgen und Sonderabschreibungen zur Förderung
Die Abbildung illustriert die Antworten auf die Frage „ Welche speziellen gesetz lichen Abschreibungsregelungen nutzen Sie oder haben Sie bereits in Ihrem Un ternehmen genutzt? “ von N = 136 Unternehmen im Befragungszeitraum Feb ruar bis Juni 2023.
Hier zeigt sich, dass insbesondere die Abschreibung für gering wertige Wirtschaftsgüter (§ 6 Abs. 2 EStG) von nahezu allen Unternehmen genutzt wird und mehr als die Hälfte die degres sive Abschreibung (§ 7 Abs. 2 EStG) in Anspruch nimmt. Vor dem Hintergrund der positiven Bewertung der degressiven Ab schreibung dieser Unternehmen (s. Abbildung 2) überrascht es ein wenig, dass nur etwas über 57 % der Unternehmen die de gressive Abschreibung nutzt. Noch deutlicher fällt das Missver hältnis zwischen der positiven Einschätzung von Sonder abschreibungen und Investitionsabzugsbeträgen und der tat sächlichen Inanspruchnahme aus. Die Sonderregelungen für KMU (§ 7g Abs. 1 und Abs. 5 – 6 EStG) werden nur von etwas mehr als 10 % der befragten Unternehmen angewendet, ob wohl circa 70 % dieser Unternehmen als KMU einzustufen sind. Ein möglicher Grund hierfür könnte sein, dass § 7g EStG nur anwendbar ist, wenn der Unternehmensgewinn unter 200 000 € liegt. Auch bei KMU ist diese Voraussetzung oft nicht ge geben. Ferner könnte dies auf die Komplexität der Regelungen im deutschen Recht zurückzuführen sein. Da ein Grund für die Nichtnutzung steuerlicher Abschrei bungsregeln in deren hohen (wahrgenommenen) Komplexität liegen könnte, haben wir im Rahmen der BMF/DIHK-Befra gung auch danach gefragt, wie die Unternehmen die Komplexi tät der deutschen Abschreibungsvorschriften in ihrer Gesamt heit einschätzen. 60 % der Befragten empfinden die deutschen Abschreibungsregelungen aufgrund der Vielzahl der Regeln so wie der vielen differenzierten Tatbestandsmerkmale als zu komplex. Interessant ist auch, dass viele Befragte den Aufwand im Zusammenhang mit der Anwendung der AfA-Tabellen als unangemessen hoch einstufen. 65 Als Fazit aus den angeführten Unternehmensbefragungen bleibt festzuhalten, dass Unternehmen beschleunigte Abschrei bungen bzw. Sonderabschreibungen als besonders investitions fördernd einstufen, wenngleich sie bestehende Möglichkeiten im geltenden Recht oftmals nicht nutzen. Dies liegt möglicher weise daran, dass die Unternehmen die geltenden Abschrei bungsregeln mehrheitlich als zu komplex wahrnehmen. Für die Steuerpolitik bedeutet dies, dass beschleunigte Abschreibungen ein brauchbares Mittel zur Investitionsförderung darstellen könnten, aber nicht zu komplex ausgestaltet sein sollten, um die beabsichtigte Wirkung auch tatsächlich zu entfalten. Auch wenn Befragungen wichtige Hinweise zur Nutzung und Wir kungsweise steuerlicher Abschreibungen liefern, ist eine Schät zung gesamtwirtschaftlicher Effekte von Investitionsförder maßnahmen nicht möglich. Selbsteinschätzungen von Unter nehmen können zwar (möglicherweise verzerrte) Wahrneh mungen einfangen, sind jedoch nur eingeschränkt geeignet, Schlüsse hinsichtlich des tatsächlichen Verhaltens zu ziehen. Zudem leiden Befragungen stets unter einer relativ kleinen An zahl an teilnehmenden Unternehmen; insbesondere Groß unternehmen werden kaum erreicht.
65 Vgl. Heinemann-Heile et al. (2023a), S. 14. 66 Vgl. z.B. Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 7 EStG Rz. 1 (Stand: 330. Lieferung, 1/2025). 67 Vgl. Brandis in Brandis/Heuermann/Brandis, § 7 EStG Rz. 30 (Stand: 174. EL November 2024). 68 Vgl. Brandis in Brandis/Heuermann/Brandis, § 7 EStG Rz. 85 (Stand: 174. EL November 2024).
Made with FlippingBook - professional solution for displaying marketing and sales documents online